Artenkenntnis Homeschooling

Eigentlich wollte ich mich dieses Frühjahr mit einer ganz besonderen Spezies beschäftigen, noch dazu einer die bei uns offenbar ganz akut vom Aussterben bedroht ist, nämlich den sog. Artenkennern. Ja, hier geht es nicht um Tier oder Pflanze, sondern um Vertreter unserer Art, die inzwischen in einem bedrohlichen Tempo weniger werden. Darauf aufmerksam geworden war ich schon letztes Jahr durch Beiträge von Naturschutzorganisationen und die Plattform naturgucker.de. Die Gründe und das Ausmaß dieser „Erosion der Artenkenner“ könnt ihr schön z.B. hier nachlesen: https://www.bund-naturschutz.de/artenschutz-in-bayern/erosion-der-artenkenner.html bzw. ausführlicher https://www.bund-naturschutz.de/fileadmin/Bilder_und_Dokumente/Themen/Tiere_und_Pflanzen/Artenschutz/Erosion-der-Artenkenner.pdf

Erinnerungen an ein besonderes Frühjahr – die Orchideen haben zum Glück trotz Pandemie geblüht

Als „fachlich versierte Personen, die sich privat, ehrenamtlich oder beruflich mit einer oder mehreren Tier- oder Pflanzengruppen befassen“ und deren Bestände auch dokumentieren, sind die Artenkenner also definiert. Und was mich daran besonders schmerzt: ich habe dieses Aussterben schon live miterlebt. Mein Mentor in Sachen Vogelstimmen ist mir leider „ausgestorben“, bevor ich auch nur daran denken konnte, das zu tun, was er sich von mir gewünscht hat: seine Vogelstimmenexkursionen zu übernehmen. Neben einem Grundverständnis für Vogelstimmen hat er mir vor allem eine große Bewunderung für Artenkenner hinterlassen und die Hoffnung, mich selbst Stück für Stück seinem großen Wissen und Können anzunähern. Auch wenn es nur mit einer Vogelstimme pro Jahr sein sollte, die ich in mein Inventar aufnehme. Dann kann ich im Rentenalter vielleicht wirklich seine Exkursionen weiterführen.

Besonders gefreut hat es mich daher, dass für dieses Jahr vom Bund Naturschutz auch in unserer Gegend Artenkennerseminare geplant wurden, um den so wichtigen Wissenstransfer von Artenkennern auf potentielle künftige Artenkenner in Schwung zu bringen. Orchideen und Frühlingsblumen der Magerrasen wären bei mir auf dem Plan gestanden. Da hat Corona mir leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Seminare und Führungen waren erst mal alle abgesagt. Zum Glück ging es gestern los mit den Sommerblüten auf den Magerrasen. In kleiner Gruppe und mit viel Abstand haben wir, egal wie der botanische Kenntnisstand war, viel dazugelernt. Hügel-Meier, Sichelblättriges Hasenohr und Wirbeldost – manche Pflanzennamen sind so besonders, dass sie einem einfach im Ohr und Gedächtnis bleiben. Und für die Orchideen hatte ich dieses Frühjahr zum Glück meinen Privatlehrer vor Ort, dem es sehr am Herzen liegt, sein Wissen weiter zu geben, bevor ihm vielleicht irgendwann die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung macht.

Warum ich euch das alles erzähle? Einfach, weil ich euch dazu ermutigen möchte, eure eigenen Naturbeobachtungen nicht zu unterschätzen. Je mehr Menschen es gibt, die ihre Umwelt achtsam im Blick haben, umso eher fallen auch Veränderungen auf. Dazu muss man nicht unbedingt, stundenlang mit dem Kescher über Wiesen streifen und alles bestimmen und zählen, was einem ins Netz geht. Auch die Beobachtung einiger weniger Vogelarten an der Tränke im Garten, kann wichtige Hinweise auf den Zustand der Natur geben, auch in der Stadt. Besonders, wenn man sie irgendwie festhält, egal ob mit dem Foto, im Naturtagebuch oder in Citizen Science-Programmen wie naturgucker. Denn die eigene Erinnerung ist manchmal trügerisch.

Man muss ja nicht gleich mit so komplizierten Sachen anfangen. Am besten ist sowieso, man sucht sich eine Tier- oder Pflanzengruppe, die man einfach gerne mag. So bin ich zur „Glühwürmchen-Artenkennerin“ geworden. Davon gibt es bei uns nämlich nur drei Arten, die man noch dazu gut auseinanderhalten kann 😉 Auch wenn absolut nichts über die Wissensvermittlung von einem begeisterten Kenner geht und gute Bestimmungsliteratur einfach dazugehört, möchte ich euch hier ein paar Tipps geben, welche digitalen Hilfsmittel euch helfen können, eure Artenkenntnis zu erweitern. Mit haben sie gerade dieses Jahr viel Freude bereitet und geholfen.

  • Seit diesem Jahr gibt es eine richtig gute Pflanzenbestimmungsapp: Flora Incognita von der TU Ilmenau. Das ist die erste, die ich getestet habe, die richtig gut funktioniert. Unfehlbar ist sie auch nicht, aber man hat auch die Möglichkeit bei einer unsicheren Bestimmung, die Beobachtung an Experten weiterzuleiten.
  • blumeninschwaben.de: Die Website ist einfach der Hammer. Ein komplett bebilderter Bestimmungsschlüssel für die Flora Deutschlands. Gerade wenn einem die Bestimmungschlüssel in Buchform zu bilderlos, die „Pflanzenbilderbücher“ aber nicht genau genug sind, ist diese Seite eine gute Hilfe. Mir hat sie sehr geholfen, mich ins systematische Bestimmen einzuarbeiten, und sie ist immer noch mein liebster Bestimmungsschlüssel.
  • kerbtier.de: Wer einen Käfer findet, egal wie klein oder exotisch, dem wird hier schnell geholfen. Man muss nur ein aussagekräftiges Foto mit Angabe von Größe und Fundort hinschicken und bekommt innerhalb von wenigen Tagen eine Bestimmung von Experten. Viele Bilder von sehr vielen Käferarten gibt es dort außerdem dazu.
  • Schöne bebilderte Artenportaits vor allem von verschiedenen Insekten gibt es unter https://naturspaziergang.de/Insekten-Artenportraits.htm
  • Speziell für Schmetterlinge und ihre Raupen bin ich so gut wie immer auf www.schmetterling-raupe.de fündig geworden. Die Webseiten Betreiber sind auch sehr nett und freuen sich besonders, wenn man Bilder mit ihnen teilt.
  • Vogelstimmen über ich am liebsten mit der App Vogelquiz von Michael Holzheu. In der kostenlosen Basisversion gibt es schon 30 Vogelstimmen. Die haben mir für den Einstieg gereicht und ich fand es völlig angemessen, ein paar Euro für die Pro-Version mit über 100 Vogelstimmen zu zahlen.
  • Komplett kostenlos und sehr umfänglich ist die App Ornithopedia. Da gibt es zu jeder Vogelart viele verschiedene Versionen der Rufe und Gesänge und eine schöne Bestimmungshilfe. Bloß ohne Internet funktioniert sie bei der Fülle ihrer Daten nicht.
  • Bestimmungshilfen für verschiedene Tier- und Pflanzenfamilien gibt es bei https://offene-naturfuehrer.de Die Anzahl wächst langsam und stetig und eine App dazu gibt es auch.
  • Wer seine Beobachtungen gerne der Wissenschaft und anderen Naturfreunden zugänglich machen möchte, dem kann ich naturgucker.de empfehlen. Wenn man sich mit einer Art nicht sicher ist, kann man die Community auch um Hilfe bitte und bekommt die meistens. Außerdem nutze ich die Plattform auch gerne, um mich über Vorkommen bestimmter Tiere oder Pflanzen zu informieren.

Na sowas, das war jetzt eine ganze Menge und dabei sind es noch einmal alle Webseiten und digitalen Hilfen, die ich nutze. Ich hoffe, da sind auch Sachen dabei, die euch etwas nützen. Und es heißt auch nicht, dass die Haselmaus bei Naturfragen nicht gerne weiterhilft. Ganz im Gegenteil. Schließlich lerne ich meistens dabei auch noch was Spannendes. Und habt ihr Lust bekommen, euch weiter in ein Naturthema einzufuchsen? Oder seid vielleicht schon mittendrin? Ich freue mich jedenfalls immer über eure Fragen und Kommentare!

6 Kommentare zu “Artenkenntnis Homeschooling

  1. Iris & Bernd
    18. Juli 2020 um 16:10

    Liebe Mirjam,

    über diesen Beitrag von Dir haben wir in den letzten Tagen gemeinsam nachgedacht.
    Artenkenner – wir?
    Fachlich versiert sind wir nun (noch) nicht so wirklich und Bestände dokumentiert haben wir in diesem Jahr im Rahmen der NABU-Gartenvogel-Zählung zum ersten Mal – generell liegt uns das schlichte Beobachten mit unseren Bestimmungsbüchern anbei näher.

    Doch das Beobachten von den geflügelten Besuchern bei uns im Garten, das ist uns wirklich Herzensache. Und dabei haben wir im Wechsel der Jahre Veränderungen bemerkt. Vogelarten tauchen neu auf, andere kommen seltener, in einem Jahr wird eifrig genistet, im nächsten Jahr kaum…
    Wir lassen uns jetzt einfach von Dir inspirieren und haben uns ein Heft bereitgelegt, um Beobachtungen von „unseren“ Gartenvögeln zu notieren. Wir wollen uns nicht auf Arten festlegen, sondern denken da an alle gefiederten Besucher, ob sie oft oder selten bei uns vorbeischauen. Und die Notizen werden wir ganz ungeordnet machen, einfach so, wie es uns spontan in den Sinn kommt. Auf jeden Fall werden auch einfach schöne Augenblicke, die uns beim Beobachten geschenkt werden, dabei sein. Und vielleicht auch die eine oder andere Skizze 🙂 .

    Zwar werden wir so bestimmt keine klassischen Artenkenner, werden aber sicherlich viel Freude an der ganze Sache haben, die ja auch nicht so schnell wieder einschlafen soll.
    Danke für Deine Ermutigung dazu!

    Iris und Bernd

    • mirjam
      19. Juli 2020 um 19:11

      Beobachten mit unseren Bestimmungsbüchern anbei – das klingt schon ganz so, als wärt ihr auf dem besten Weg zu Gartenvögel-Artenkennern. Gerade wo euch das Beobachten eurer geflügelten Gartenbesucher eine Herzenssache ist. Das ist die beste Grundlage. Ich wünsche euch viel Freude mit eurem kleinen Naturtagebuch! Tatsächlich habe ich in der Literatur schon öfter Verweise auf genau solche Gartenbesitzer gesehen, die über Jahre hinweg Vögel, Schmetterlinge, Wildbienen oder andere Tiere in ihrem Garten beobachtet und ihr Beobachtungen notiert haben. Das kann der Wissenschaft mitunter wichtige Anhaltspunkte geben. Also, nicht unterschätzen und einfach Spaß bei der Sache haben. Und wenn ihr einen Literaturtipp in Sachen Nature Journaling wollt, einfach fragen 😉

      • Iris & Bernd
        19. Juli 2020 um 19:38

        Einen Literaturtipp- aber sehr gerne, liebe Mirjam 😀 !

        • mirjam
          19. Juli 2020 um 20:02

          „The Laws Guide to Nature Drawing and Journaling“ von John Muir Laws ist ein ganz bezauberndes Buch mit traumhaft schönen Bildern und vielen guten Tipps sowohl dazu, wie man Beobachtungen notiert, als auch zur künstlerischen Seite. Gerade habe ich auch gesehen, dass es ein neues von ihm gibt: „How to teach Nature Journaling“. Das klingt auch sehr spannend 😉

          • 21. Juli 2020 um 18:19

            Oh ja, das Buch habe ich auch. Ganz ganz wundervoll! Leider ist es bei mir eher beim Betrachten der Bilder geblieben. Allerdings beeinflusst es meine Sichtweise, wenn ich unterwegs bin. Da überlege ich nämlich z.B. „Hey, wieso schwimmen die Enten um diese Uhrzeit eigentlich immer genau in diese Richtung?“, „Was versucht der Käfer dort zu finden, wenn er die Steine rauf und runter läuft?“. Es regt zu vernetztem Denken an. Nicht nur ein „Oh, die Enten schwimmen immer da lang und der Käfer läuft rauf und runter“, man wird stärker zur Fragestellung geleitet WARUM die Tiere (Pflanzen etc.) sich so verhalten. Auf diese Weise ist das Buch mich sehr wertvoll für mich gewesen, weil ich im Kopf überlege, wie ich die Beobachtungen festhalten würde. Und wenn dann mal nicht so viele andere Projekte anstehen…vielleicht wird es dann ja nochmal was mit einem Naturtagebuch 🙂

          • mirjam
            21. Juli 2020 um 19:32

            Ja, das stimmt. das Buch regt wirklich zu eigenen Beobachtungsprojekten an. Und künstlerisch habe ich auch einiges daraus gelernt, v.a. was das Zeichnen verschiedener Tiere angeht. Immerhin habe ich mein Naturtagebuch von letztem Jahr wieder rausgeholt und gemerkt, dass es auch was bringt, ohne es regelmäßig zu führen. Ein Frage konnte ich sogar beantworten, nämlich die, ob rosa-blühende Kirschpflaumen auch rote Früchte haben und die weiß-blühenden gelbe. Das war meine Annahme, die ich aber im Laufe des Jahres selbst widerlegen konnte 😉

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