Es gibt Kindheitsträume, die einen lange begleiten und dann irgendwann wahr werden. Einer von dieser Sorte war für mich der Traum von einem eigenen Garten. Nun bin ich schon mitten im dritten Gartenjahr hier und habe mich wieder über einige Überraschungen freuen dürfen. Unser Garten ist schon speziell, sehr steil, kaum Rasenfläche, jede Menge Gestrüpp, das munter wuchert, Steine, die das Löcher graben sehr schwer machen und eine Armee von kleinen Schnecken, die alles abgrasen, was ihnen besonders gut schmeckt. Letztes Jahr haben sie von meinen zwei Dutzend liebevoll aus Samen gezogenen Basilikumsetzlingen keinen einzigen verschont. Die einzige Überlebenden waren die, die ich verschenkt hatte. Das Hauptwerk dabei hatten die kleinen Mini-Nacktschnecken geleistet, deren Namen ich nicht kenne. Aber auch Wegschnecken kreuchen umher, Weinbergschnecken, Schnirkelschnecken und wie sie alle heißen. Eine recht intakte Schneckenfauna also und sicher nicht der Traum aller Gärtner. Ich habe auch schon des öfteren geflucht. Allerdings dürfen die Schnecken bleiben, denn sie sichern mir ein Naturspektakel, das nicht so viele andere Gärten aufweisen. Sobald es auf die Sommersonnwende zugeht, brauche ich nur warten, bis es dunkel ist und das magische Schauspiel beginnt. Langsam schweben grünliche Leuchtpunkte durch die Luft und, wenn man genau hinschaut, versteckt sich hier und da auch einer zwischen Gras oder Zweigen am Boden. Die Glühwürmchenzeit hat begonnen!
In unserem Garten sind hauptsächlich Männchen und Weibchen des Kleinen Leuchtkäfers (Lamprohiza splendidula) unterwegs. Die Männchen fliegen als kleine glühende Käferchen über Garten und Terrasse hinweg auf der Suche nach ihren Herzensdamen. Diese sitzen als Lichtpunkte unten im Gras und warten auf ihre Verehrer. Das Aussehen der Weibchen erklärt den Namen Glühwürmchen. Sie haben so gar nichts von Käfer und sehen eher aus wie cremefarbene Larven. Mundwerkzeuge haben übrigens beide Geschlechter keine, weil sie buchstäblich von Luft und Liebe leben, zumindest als erwachsene Tiere. In ihrer Kindheit sieht das komplett anders aus. Da wird gefressen, was das Zeug hält, wie bei vielen anderen Tierkindern auch. Zumindest haben die Glühwürmcheneltern damit keine Arbeit, denn ihr Nachwuchs weiß sich von Anfang an alleine zu versorgen.
Und was nehmen die Kinder solch magischer Wesen wohl zu sich? Ernähren sie sich von Blütennektar? Oder naschen süße Früchte? Weit gefehlt! Sie sind geschickte Giftjäger und haben es auf Schnecken abgesehen. Haben sie sich ein Opfer erwählt, folgen sie dessen Schleimspur, bis sie es eingeholt haben. Mit einem Giftbiss in den Nacken, lähmen bzw. töten sie die Schnecke. Reicht eine Dosis nicht, weil die Schnecke zu groß ist? Kein Problem. Dann folgen sie der Beute weiter, bis sich die Gelegenheit für einen weiteren Biss ergibt. Das kann sich über viele Stunden hinziehen und so erlegen sie auch Schnecken die um ein Vielfaches größer und schwerer sind als die kleinen Giftzwerge selbst, um sie dann auszusaugen. Für die Schnecken sicher keine so angenehme Todesart. Da geht es schneller und schmerzloser, wenn einen Drossel oder Eichelhäher holen. Aber wäre es nicht eine romantische Art der Schneckenbekämpfung, sich Glühwürmchen in den Garten zu holen? Das funktioniert leider nicht so einfach, denn die bezaubernden Käferchen lassen sich schwer ansiedeln, da sie ganz eigene Vorstellungen von einem geeigneten Zuhause haben. Und ihre Kinder brauchen vor allem eines: gute Verstecke für tagsüber und eine große Auswahl an leckeren Schnecken. Unser Garten mit Gestrüpp, Steinen und jeder Menge Schnecken in allen Größen und Geschmacksrichtungen scheint ihnen zuzusagen. Jedenfalls ganz schön verrückt, wie sich die Lebensweise von Glühwürmchenkindern und ihrem Nachwuchs unterscheidet und in meinen Augen definitiv eine der kurioseren Arten, sich Futter für‘s Wachstum zu holen.


Dass Leuchtkäfer leider in den letzten Jahrzehnten seltener geworden, liegt vor allem daran, dass die Landschaft immer „aufgeräumter“ geworden ist und Schnecken seltener. Ich denke, wenn ich anfangen würde Schneckenkorn zu streuen und den wilden Hang zu „bereinigen“, wäre ich schnell auch die Glühwürmchen los. Da ärgere ich mich lieber ein bisschen über Schneckenfraß und krabble mit der Gartenschere im Hang herum, um das Gestrüpp im Zaum zu halten. Belohnt werde ich mit wilden Orchideen, die dort blühen, und mit magischem Lichtertanz in lauen Sommernächten. Denn eines weiß ich ganz gewiss: so einen Garten hätte ich schon als kleines Mädchen geliebt.
Liebe glückliche Mirjam
Deine Giftzwerge hätte ich auch gerne. Meine Enkel und ich lieben die Gehäuseschnecken. Immer wenn wir eine finden wird sie nummeriert. Wenn sie wieder in den Garten einbricht bekommt sie jedesmal einen Strich. Nr. 3 ist schon vier mal wieder vorbeigekommen (trotz Schneckenzaun). Gestern haben wir eine 28 vergeben und Nr. 25 bekam ihren 1. Strich.
Das macht sogar mir Spass.
Viele liebe Grüße
Claudia