Ein räuberischer Eintagspilz

Schon von Weitem war etwas Weißes zu sehen, das die kleinen Halme des Winterweizens überragt. Da ist er wieder, der Schopftintling (Coprinus comatus). Seine Fruchtkörper erscheinen zwar vom Frühling bis in den November hinein, aber auf dem Feld fällt er nach der Ernte besonders auf, weil er sich nun nicht mehr zwischen den Pflanzen verstecken kann. Außerdem kommt ihm wie seinen anderen Pilzkollegen, die feuchte, milde Witterung entgegen. Eigentlich sieht er ja ganz harmlos aus mit seinem weißen Hütchen, aber da trügt der Schein.

Ein Männlein steht im Felde

Ein Männlein steht im Felde

Im jungen Stadium gilt der Schopftintling als guter Speisepilz. Solange das Fleisch noch weiß ist und der Hut nicht anfängt sich zu zersetzen, ist er essbar und heißt wegen seines milden Aromas auch Spargelpilz. Im Gegensatz zu vielen anderen Lamellenpilzen hat er keine an sich giftigen Doppelgänger. Die anderen Tintlinge haben kein rein weißes Fleisch und können nur in Kombination mit Alkohol gefährlich werden. Beim Schopftintling soll es auch schon vorgekommen sein, dass gleichzeitiger Alkoholgenuss zu Unwohlsein führt, aber ohne schlimmere Folgen. Auf Nummer sicher zu gehen, schadet natürlich nie. Zügig sollte man mit der Verarbeitung auf jeden Fall immer sein und gesammelte Schopftintlinge am selben Tag noch verwerten, denn sie sind so zu sagen „Eintagspilze“ und verderben recht schnell. Warum der Pilz Tintling heißt, sieht man an den älteren Fruchtkörpern. Der Hut löst sich selber auf und tropft als schwarze Tinte zu Boden.

So tropft die Tinte vom Tintling.

So tropft die Tinte vom Tintling.

Man kann sie sogar wirklich zum Schreiben benutzen. Dazu muss man einen Tintling in ein Glas stellen und warten, bis es sich selber aufgelöst hat. Zum Schreiben braucht der Pilz die Tinte natürlich nicht, sondern um seine Sporen zu verbreiten. Davon enthält die schwarze Flüssigkeit nämlich reichlich. Das ist aber nicht die einzige Besonderheit des Schopftintlings. Auch wenn man es ihm nicht ansieht, er ist ein Raubpilz. Wie die meisten Pilze lebt er zwar auch davon, abgestorbene Biomasse zu zersetzen, aber er hat noch einen anderen Trick an Nahrung zu kommen. Wie Wissenschaftler zeigen konnten sondert er mit seinem Myzel Giftstoffe ab, die Nematoden – das sind kleine Fadenwürmer, die überall im Boden leben – unbeweglich machen, und wächst anschließend in sie hinein, um sie zu verspeisen. Ganz schön raffiniert. Es gibt also nicht nur fleischfressende Pflanzen, sondern auch räuberische Pilze.

Frisch geschlüpft

Frisch geschlüpft

Ein paar Meter weiter von dem großen Tintling steckte sein kleiner Bruder den Hut aus der Erde. Nicht zu unterschätzen ist die Kraft, mit der sich so ein Pilz aus der Erde schiebt. Es ist auch schon vorgekommen, dass so eine Tintlingskolonie von unten ordentliche Dellen in einen Sportplatz gedrückt hat. Woher sollte der Pilz auch wissen, dass man ihm von einem Jahr zum andern einen Sportplatzbelag über den Kopf gebaut hat? 😉

Links:
Luo et al., Coprinus comatus Damages Nematode Cuticles Mechanically with Spiny Balls and Produces Potent Toxins To Immobilize Nematodes
Nematoden-fressende Pilze

3 Kommentare zu “Ein räuberischer Eintagspilz

  1. 9. November 2014 um 11:37

    Hallo Mirjam.
    Wieder ein sehr interessanter Beitrag.
    Vielen Dank dafür!

    LG

    Axel

  2. 25. November 2014 um 16:55

    Heute morgen habe ich ein ganzes Heer Schopftintlinge am Wegesrand entdeckt. Zu schade, dass es da noch dunkel war und es nachher, wenn ich zurück zum Zug gehe, auch wieder dunkel ist =(

    • mirjam
      27. November 2014 um 10:03

      Ja schade, im Moment ist das mit dem Spazieren gehen bei Licht echt ein Luxus unter der Woche…

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